Wiederaufbau in der Nachkriegszeit

Eric Mozanowski: Denkmalschutz in Deutschland

Eric Mozanowski, ehemaliger Vorstand der ESTAVIS AG, führte in Berlin / Leipzig sowie Stuttgart im Rahmen von Seminarveranstaltungen die Vortragsreihe zum Themengebiet Denkmalschutz in Deutschland fort. Aus den Kreisen der Teilnehmer kam der Wunsch, wichtige Wissensmodule auch im Internet zu veröffentlichen. Dies ist Teil 9, welcher sich mit dem Denkmalschutz und Wiederaufbau befasst, dessen Phase mehrere Jahrzehnte betrug.

Denkmalschutz und Wiederaufbau

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, dessen Dauer sechs Jahre betrug, standen viele Stadtplaner, so auch in Stuttgart, vor der Alternative, entweder alle Ruinen abzureißen und auf die Wiedererschaffung historischer Bauwerke und städtebaulicher Anlagen zu verzichten, oder aber den Charakter der Städte wiederherzustellen – mit mehr oder weniger originalen Nachbauten städtebaulicher Ensembles. Die größten Anstrengungen beim Wiederaufbau gab es in Nürnberg, aber auch in Stuttgart. Die einst besterhaltene mittelalterliche Stadt nördlich der Alpen war 1945 zu neun Zehnteln zerstört. Gleichwohl war die Bürgerschaft Nürnbergs zu dem Konsens gekommen, so viel Substanz wie nur möglich zu erhalten, weil die Zerstörung ein erhebliches Ausmaß betrug. Dabei haben auch wirtschaftliche Gründe eine Rolle gespielt. Denn die Keller- und Erdgeschosswände sowie die Kanalisation waren in Nürnberg oftmals noch erhalten. Auf diesen Grundmauern sind dann in den Nachkriegsjahren zum Teil originalgetreue, oftmals aber auch nachempfundene Bauten entstanden.

In Lübeck nahm man dagegen bei ähnlichen Ausgangsbedingungen ungleich weniger Rücksicht auf die Geschichte. Die großen Kirchen (Dom, Marienkirche, Petrikirche), die als bedeutende Monumentalbauten ihren Platz in der Kunstgeschichte hatten, wurden in bewundernswerter Weise gesichert oder ganz wiederhergestellt. Damit war die Stadtsilhouette in der alten Form wiedererstanden. Die zerstörten Gewerbe- und Wohnviertel dagegen wurden im Sinne modernen Städtebaus neu geordnet. Dabei wurde der historische Stadtgrundriss vielfach geändert und die oft sehr kleinteilige Parzellenstruktur in weiten Bereichen aufgelöst. Von den Änderungen besonders betroffen war der westliche Teil der Stadtinsel, wo ehemals die kaufmännischen Wohnviertel durch moderne Bebauung ersetzt worden sind, so dass das „alte Lübeck“ heute im Wesentlichen durch die im Vergleich mit den verlorenen Patrizierhäusern bescheideneren Wohnquartiere auf der östlichen Inselhälfte repräsentiert wird.

Die Motive für den Abriss beschädigter Wohn- und Geschäftshäuser sind auch heute noch durchaus nachvollziehbar: Es sollte Platz für Neubauten geschaffen werden. Zudem benötigte man Baumaterialien für den Wiederaufbau von Wohnungen und Gewerbebauten. Zugleich waren auch die Ansprüche an den Wohnkomfort gestiegen. Historische Wohnhäuser, die oft nur schlechte sanitäre Ausstattungen aufwiesen, sanken in der Wertschätzung. Dies geschah auch in Stuttgart. Auf der anderen Seite führte die Notwendigkeit, möglichst viele Wohnungen kostengünstig zur Verfügung stellen zu müssen, zum Bau von größeren Siedlungen mit standardisierten Wohnungstypen. Dabei achtete man mehr auf den Komfort im Inneren als auf ein harmonisches Äußeres.

Ein erstes Beispiel dafür, dass bedeutende Einzeldenkmale dem Schicksal vieler Wohnhäuser entgehen würden, war das Frankfurter Goethehaus. Das Geburtshaus des deutschen Dichters wurde auf Beschluss des Magistrates zu seinem 200. Geburtstag (1949) aus dem Nichts rekonstruiert: Was heute den meisten selbstverständlich erscheint, löste damals eine heftige Kontroverse aus. Denn es gab viele Menschen, die in der Zerstörung dieses Fixpunktes deutscher Identität eine Folge der historischen Schuld sahen, die die Deutschen auf sich geladen hatten: Ihnen musste eine Rekonstruktion geradezu unmoralisch erscheinen. Der Publizist Walter Dirks trat daher für einen Verzicht die Rekonstruktion des Goethehauses ein.

Dirks argumentierte: „Das Haus am Hirschgraben ist nicht durch einen Bügeleisenbrand oder einen Blitzeinschlag oder durch Brandstiftung zerstört worden, es ist nicht zufällig zerstört worden […]. Sondern dieses Haus ist in einem geschichtlichen Ereignis zugrunde gegangen, das mit seinem Wesen sehr wohl etwas zu tun hat. […] Wäre das Volk der Dichter und Denker […] nicht vom Geist Goethes abgefallen, vom Geist des Maßes und der Menschlichkeit, so hätte es diesen Krieg nicht unternommen und die Zerstörung dieses Hauses nicht provoziert. […] Mit anderen Worten, es hat seine bittere Logik, daß das Goethehaus in Trümmer sank. Es war kein Versehen, das man zu berichtigen hätte, keine Panne, die der Geschichte unterlaufen wäre: es hat seine Richtigkeit mit diesem Untergang. Deshalb sollte man ihn anerkennen.“

Die Gegenpartei führte den nicht an die verlorene Bausubstanz gebundenen Symbolwert eines solchen Gebäudes ins Feld. Einer der Initiatoren des Wiederaufbaus, der Frankfurter Fabrikant Georg Hartmann, hielt Dirks entgegen: „[…] das Goethehaus in Trümmern liegen zu lassen“ hätte als Anklage gegen die Feinde Hitlers, als „Denkmal des Krieges, als Verewigung des Hasses“ aufgefasst werden können. „Wir sagen ja nicht, daß dieses Haus dasjenige sei, in dem Goethe geboren worden ist. Wenn es auch nur zum Teil, vor allem im Erdgeschoß, die alten Steine sind, so sind es überall die Formen und Farben, es ist überall die alte Harmonie des Maßes. Und in allen Räumen birgt es den alten Inhalt, der rechtzeitig der Zerstörungswut des Krieges entzogen […] wieder an den Hirschgraben zurückgeströmt ist, und nun nach einem neuen, aber ihm gemäßen Heim verlangte […]. In jedem anderen Haus, etwa einem anderen neuen Museum, wären diese Möbel sinn- und beziehungslos gewesen.“

Die Diskussion um das Goethehaus verdeutlicht die möglichen Handlungsweisen der Denkmalpfleger. Auf der einen Seite hätte man die Ruine als das eigentliche Denkmal sehen können – unter der Gefahr, dass diese im Laufe der Jahre zu einem gesichts- und formlosen Steinhaufen geworden wäre. Auf der anderen Seite hatte Hartmanns Argument, das gerettete Inventar sei ohne adäquate Hülle sinn- und beziehungslos, einen hohen Stellenwert bei der Beantwortung der Frage, ob eine Rekonstruktion legitim sei.

Nicht jedes bedeutende Einzeldenkmal wurde in den Nachkriegsjahren mit der gleichen Hingabe saniert wie das Goethehaus. Abgerissen wurde aber nur selten. Von der Vielzahl der deutschen Residenzschlösser wurden nur wenige ersatzlos abgetragen. Bis auf eine einzige Ausnahme fanden Zerstörungen in diesem Bereich nur in der DDR statt. Bereits 1950 wurde das Schloss der Hohenzollern im Zentrum Berlins auf Befehl Walter Ulbrichts gesprengt – obwohl der riesige Bau den Krieg relativ gut überstanden hatte und teilweise wieder genutzt worden war. Doch weil das Schloss in Ulbrichts Augen den preußischen Militarismus symbolisierte, wurden seine Reste zerstört. Später wurde an seiner Stelle der Palast der Republik gebaut. Dem gleichen politischen Verdikt fiel im Mai 1968 die Ruine des Potsdamer Stadtschlosses zum Opfer, betrug der Schaden dort unermessliche Summen. In Westdeutschland traf es allein die Welfenresidenz in Braunschweig, die nach einer knappen Entscheidung des Stadtrates 1968 ersatzlos abgerissen wurde.

Neuorientierung beim Stadtumbau

Substanzverluste waren aber auch anderweitig zu beklagen. Beispielsweise ging man daran, die Restaurationen des 19. Jahrhunderts wieder zurückzunehmen. Zahllose Kirchen verloren ihre farbenprächtigen Ausmahlungen, geschnitztes Gestühl und reich verzierte neogotische Altäre wurden zersägt, verheizt oder bestenfalls auf dem Dachboden gelagert. Anschließend wurden die nunmehr oft fast spartanisch ausgestatteten Kirchenräume vorzugsweise weiß ausgemalt. Prominentes Beispiel einer solchen Purifizierung ist der Kaiserdom in Speyer. Die größte erhaltene romanische Kirche hatte durch Kriege im 17. und 18. Jahrhundert schwer gelitten und konnte danach nur mühsam wieder gesichert werden. Zwischen 1845 und 1853 ließen die bayerischen Könige Ludwig I. und Maximilian II. durch den Maler Johann Schraudolph eine neue Ausgestaltung vornehmen. Schraudolphs monumentale Fresken verliehen dem Bau eine neue Geschlossenheit, standen aber im Widerspruch zum Zeitgeschmack. Noch Konrad Adenauer und Theodor Heuss waren sich darin einig, dass die Fresken wieder entfernt werden müssten. Dies geschah zwischen 1957 und 1963. Der Vorgang gilt heute als „Sündenfall“ der deutschen Nachkriegsdenkmalpflege (Leo Schmidt), weil das Ziel, den salischen Dom wieder herauszuschälen, gar nicht zu erreichen war. Allein der Schaden der Entfernung betrug hier viele hunderttausend Mark.

Überdies wurden bedeutende Bauwerke des Barock und des Klassizismus in einer Weise restauriert, die nur die grobe architektonische Struktur respektierte: Dekor, Farbigkeit und kleinteilige Strukturen galten dagegen als suspekt. So fielen die Reste des Stuckdekors von Leo von Klenzes kriegsbeschädigter Glyptothek in München einem Konzept zum Opfer, bei dem nur die nackten, transparent geschlämmten Ziegelwände übrig blieben.
Die Zeit des Wiederaufbaus war aber auch eine Periode des Stadtumbaus. Dieser orientierte sich fast immer am Leitbild der autogerechten Stadt, so auch in Stuttgart. Dem Konzept fielen viele Bauten zum Opfer, die den Krieg vergleichsweise unbeschadet überstanden hatten. In Dresden und Kassel wurde die bestehende Stadt- und Straßenstruktur verändert – nur um einem utopischen Bild zu entsprechen. Ein Beispiel, wie eine Altstadt durch einen Innenstadtring regelrecht abgeschnürt werden kann, ist Freiburg. Fußgänger gelangen hier an vielen Stellen nur noch durch Unterführungen in den historischen Stadtkern und wieder hinaus.

Eric Mozanowski referierte in Stuttgart darüber hinaus noch kurz über die Parallelen in Stuttgart, deren grundsätzliche Ausrichtung auch für die historische Bausubstanz in Leipzig und anderen ostdeutschen Großstädten gelte.

V.i.S.d.P.:

Eric Mozanowski
Der Verfasser ist für den Inhalt verantwortlich

Eric Mozanowski, ehemaliger Vorstand der ESTAVIS AG, führte in Berlin / Leipzig sowie Stuttgart im Rahmen von Seminarveranstaltungen die Vortragsreihe zum Themengebiet Denkmalschutz in Deutschland fort. Aus den Kreisen der Teilnehmer kam der Wunsch, wichtige Wissensmodule auch im Internet zu veröffentlichen. Weitere Informationen unter: www.estavis.de

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