BEM: Welche Auswirkungen hat die Zustimmung des Integrationsamtes zur krankheitsbedingten Kündigung

BEM: Welche Auswirkungen hat die Zustimmung des Integrationsamtes zur krankheitsbedingten Kündigung und wie ist die Weigerung von Beschäftigten, eine datenschutzrechtliche Einwilligung zu unterzeichnen, zu bewerten?

1. Die Zustimmung des Integrationsamts zu einer krankheitsbedingten Kündigung begründet nicht die Vermutung, dass ein (unterbliebenes) betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) die Kündigung nicht hätte verhindern können.
2. § 167 Abs. 2 Satz 4 SGB IX verlangt nicht die schriftliche Zustimmung des Arbeitnehmers in die Verarbeitung seiner im Rahmen eines BEM erhobenen personenbezogenen und Gesundheitsdaten, sondern nur eine Hinweispflicht über Art und Umfang der im konkreten BEM zu verarbeitenden Daten.
3. Es ist dem Arbeitgeber auch ohne eine datenschutzrechtliche Einwilligung möglich und zumutbar, zunächst mit dem beabsichtigten BEM zu beginnen. In einem Erstgespräch kann der mögliche Verfahrensablauf besprochen und versucht werden, bestehende Vorbehalte auszuräumen.
(Orientierungssätze der Verfasserin)
BAG, Urteil vom 15.12.2022 – 2 AZR 162/22;

Die betroffene Arbeitnehmerin ist einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt und seit fünf Jahren arbeitsunfähig erkrankt. Die Arbeitgeberin lud die Arbeitnehmerin zu einem BEM ein. Die Arbeitnehmerin teilte mit, dass sie an einem BEM teilnehmen wolle, sie unterzeichnete aber die ihr diesbezüglich von der Arbeitgeberin vorgelegte datenschutzrechtliche Einwilligung nicht, sondern stellte Rückfragen und wählte eigene Formulierungen. In mehreren nachfolgenden Gesprächen wies die Arbeitgeberin die Arbeitnehmerin darauf hin, dass die Durchführung eines BEM ohne die datenschutzrechtliche Einwilligung nicht möglich sei und führte auch kein BEM-Verfahren durch. Schließlich sprach die Arbeitgeberin nach Einholung der Zustimmung des Integrationsamtes aus krankheitsbedingten Gründen die Kündigung aus krankheitsbedingten Gründen aus.
Im Rahmen der von der Arbeitnehmerin dagegen erhobenen Klage verteidigte sich die Arbeitgeberin unter anderem mit der Argumentation, die fehlende Bereitschaft der Arbeitnehmerin, die datenschutzrechtliche Einwilligung zu unterzeichnen, stehe einer fehlenden Zustimmung zur Durchführung eines BEM gleich. Eine Veranlassung, vor Ausspruch der Kündigung einen weiteren Versuch der Durchführung eines BEM zu unternehmen, habe daher nicht bestanden. Ein milderes Mittel gegenüber der Beendigungskündigung sei nicht ersichtlich, was auch aufgrund der Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung zu vermuten sei.

Dieser Argumentation ist das BAG nicht gefolgt und hat die Kündigung für rechtswidrig erachtet.

Die Arbeitgeberin hat nicht ausreichend dargelegt, dass keine milderen Maßnahmen, die zum Erhalt des Arbeitsplatzes beigetragen und damit die Kündigung vermieden hätten, ersichtlich waren. Solche milderen Maßnahmen können im Rahmen eines BEM entwickelt werden. Wurde ein BEM, wie im gegenständlichen Fall, trotz der Pflicht nach § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX nicht durchgeführt, so obliegt dem Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein BEM nicht dazu hätte beitragen können, neuerlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten entgegenzuwirken und das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Sind dem Arbeitgeber Fehler bei der Durchführung des BEM unterlaufen, ist das Ausmaß des Fehlers maßgeblich für den Umfang seiner Darlegungslast.

In seiner Entscheidung erörtert das BAG, dass die Arbeitgeberin die Einleitung des BEM-Verfahrens nicht von der Unterzeichnung der Datenschutzerklärung abhängig machen dürfe. Ein BEM hätte durchgeführt werden müssen. Dazu war die Arbeitnehmerin auch bereit. Auch ohne die verlangte Einwilligung war es der Arbeitgeberin möglich und zumut-bar, bereits mit dem BEM anzufangen. So hätte sie zunächst in den Anfangsgesprächen die Zweifel der Arbeitnehmerin an der Einwilligungserklärung beseitigen können, um an-schließend Lösungswege für die Reduzierung der Arbeitsunfähigkeitszeiten herauszuarbeiten. Nur bei einer Weigerung der Arbeitnehmerin zur Teilnahme an diesem Klärungsprozess, käme eine Beendigung des Verfahrens seitens der Arbeitgeberin in Betracht.

Es ist denkbar, dass auch ein tatsächlich durchgeführtes BEM keinen Beitrag zur Verbesserung hätte leisten können. Diese Nutzlosigkeit ist vom Arbeitgeber umfassend und detailliert nachzuweisen. Besteht allerdings die Möglichkeit eines positiven Ergebnisses durch ein BEM, muss der Arbeitgeber sich dies entgegenhalten lassen. Im vorliegenden Rechtstreit konnte nicht eindeutig festgestellt werden, dass ein BEM keinen Nutzen gehabt hätte.

Auch der Umstand, dass das Integrationsamt der krankheitsbedingten Kündigung zugestimmt hat, stellt keine Vermutung für die Nutzlosigkeit des BEM dar. Anders als in der Vergangenheit in Bezug auf eine verhaltensbedingte Kündigung entschieden, vertritt das BAG nunmehr die Auffassung, dass das BEM-Verfahren und das Verfahren beim Integrationsamt zur Zustimmung zur Kündigung sich grundlegend unterscheiden im Hinblick auf Ziel, Ablauf und Beteiligte. Beim Präventionsverfahren überprüft das Integrationsamt lediglich einen bereits gefassten Kündigungsentschluss, wohingegen beim BEM eine Kündigung durch die Ausarbeitung von Verbesserungen in Bezug auf das Arbeitsumfeld gerade vermieden werden soll.

Fazit:
Die Entscheidung des BAG sorgt für Klarheit. Zustimmungsentscheidungen von Integrationsämtern zu krankheitsbedingten Kündigungen können nicht mehr ohne Weiteres als Beleg für die Aussichtslosigkeit eines BEM-Verfahrens herangezogen werden. Das BAG hat ebenfalls klargestellt, dass Unterzeichnung der – oft über-bordenden arbeitgeberseitig vorgefertigten – Datenschutzeinwilligungserklärungen keine gesetzliche Voraussetzung für den Beginn eines BEM-Verfahrens sind. Eine hilfreiche Argumentation für Interessenvertretungen bei Verhandlungen zum Ab-schluss von entsprechenden Betriebs- und Dienstvereinbarungen.

Sigrid Britschgi
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