Hessisches LAG ermöglicht Ersatzmitglied des Betriebsrats Teilnahme an Grundlagenschulung

1. Die Erforderlichkeit der Schulung eines Ersatzmitgliedes in betriebsverfassungsrechtlichem Grundwissen ist anders zu beurteilen als bei ordentlichen ständigen Mitgliedern und insbesondere nicht generell zu bejahen.
2. Allein die Erwartung von Vertretungsfällen aufgrund von Urlaub oder der vorübergehenden Erkrankung von Betriebsratsmitgliedern reichen zur Begründung der Erforderlichkeit der Schulungsteilnahme von Ersatzmitgliedern nicht aus. In einem solchen Fall hat der Betriebsrat zu prüfen, ob er seine Arbeitsfähigkeit nicht durch andere ihm zumutbare und für den Arbeitgeber finanziell weniger belastenden Maßnahmen gewährleisten kann.
3. Eine mehr als fünfmonatige Ausfallzeit des einzigen Betriebsratsmitglieds eines Dreiergremiums, das aus einer vorangegangenen Amtszeit über Erfahrungen im Amt verfügt, führt zu einer Erforderlichkeit der Schulungsteilnahme eines Ersatzmitgliedes.
(Beschluss des Hessischen LAG 17.01.2022 – 16 TaBV 99/21; Leitsätze des Verfassers)

Beim Arbeitgeber besteht ein dreiköpfiger Betriebsrat. Von den ordentlichen Betriebsratsmitgliedern verfügt nur eines, der Vorsitzende, aufgrund Mitgliedschaft im vorherigen Betriebsrat über betriebsverfassungsrechtliches Grundwissen oder anderweitige Kenntnisse des Betriebsverfassungsrechts. Aufgrund Erkrankung und anschließendem Urlaub eben dieses Mitgliedes über einen Zeitraum von annähernd fünf Monaten (Ende April bis Anfang Oktober) wurde ein Ersatzmitglied, das ebenfalls über keinerlei betriebsverfassungsrechtliches Grundwissen und auch keine anderweitigen Kenntnisse des Betriebsverfassungsrechts verfügte, zu Betriebsratssitzungen hinzugezogen. Eine Amtsunfähigkeit des kundigen Mitglieds aufgrund der Erkrankung war zunächst nicht gegeben und dieses versuchte eine Teilnahme an Sitzungen des Betriebsrats bis Juni. Nachdem auch dies gesundheitlich nicht mehr möglich war, wechselte der Vorsitz des Betriebsrates im Juni auf ein anderes Mitglied. Zwischen den Betriebsparteien bestand eine Auseinandersetzung in der Thematik der Arbeitszeit und es fanden auch Verhandlungen über Betriebsvereinbarungen zur Arbeitszeit und zur elektronischen Zeiterfassung in diesem Zeitraum statt, an denen das Ersatzmitglied teilweise teilgenommen hat.

Im Juni beschloss der Betriebsrat, dass es zur Aufrechterhaltung seiner Funktionsfähigkeit erforderlich sei, das Ersatzmitglied auf eine Schulung zum betriebsverfassungsrechtlichen Grundwissen zu entsenden. Seine Prognoseentscheidung begründete er damit, dass aufgrund Abwesenheit des ehemaligen Vorsitzenden absehbar weitere Vertretung in Sitzungen und Verhandlungen notwendig sei und anderweitige organisatorische Maßnahmen nicht in Betracht kämen. Die Arbeitgeberin verweigerte die Zustimmung zur Entsendung und Kostenübernahme. Nach trotzdem erfolgter Schulungsteilnahme des Ersatzmitglieds verlangte der Betriebsrat im Beschlussverfahren die Freistellung von den Kosten der Schulung, der Übernachtung und Verpflegung sowie der Reisekosten. Das Arbeitsgericht Darmstadt hat den Antrag abgewiesen, das Hessische LAG hat der Beschwerde des Betriebsrat stattgegeben und den Anträgen entsprochen.

Zur Begründung führt das Hessische LAG an, dass der Betriebsrat im Rahmen der von ihm anzustellenden Prognose der Erforderlichkeit der Schulungsteilnahme zutreffend festgestellt habe, dass aufgrund der Langzeiterkrankung es auch zukünftig zu erwarten sei, dass das Ersatzmitglied als Vertreter herangezogen werden muss. Bereits der Wechsel im Vorsitz und dessen Hintergrund der gesundheitlichen Einschränkungen zeige auf, dass das erkrankte Mitglied auch künftig nur noch eingeschränkt zur Verfügung stehen werde. Damit durfte der Betriebsrat im Zeitpunkt seines Entsendungsbeschlusses davon ausgehen, dass zukünftig nicht mehr damit zu rechnen war, dass das erkrankte Mitglied ohne weiteres seine Amtsgeschäfte trotz Erkrankung wahrnehmen kann. Hinzu trete, dass das Ersatzmitglied über keinerlei Kenntnisse in Bezug auf die Betriebsratstätigkeit verfüge und auch die beiden anderen Betriebsratsmitglieder erstmals gewählt und unerfahren waren. Damit scheide eine ansonsten unter Umständen denkbare Wissensvermittlung durch sie aus. Auch andere organisatorische Maßnahmen des Betriebsrats, wie andere Terminierung von Betriebsratssitzungen, kämen zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit nicht in Betracht. Soweit in der Rechtsprechung hinsichtlich der Heranziehung von Ersatzmitgliedern zu Betriebsratssitzungen eine Quote von 40% der Teilnahme gefordert werde, betreffe dies kurzfristig auftretende Vertretungsfälle. Bei Langzeiterkrankungen sei jedoch von einem langfristigen Einrücken in den Betriebsrat auszugehen. Im Übrigen komme es nicht darauf an, ob das Mitglied erst mit dem Vertretungsfall in einer Betriebsratssitzung in die Amtsstellung einrückt, denn maßgeblich sei nicht allein die Teilnahme an Betriebsratssitzungen sondern jede Amtstätigkeit für den Betriebsrat.

Fazit:
Die rechtskräftige Entscheidung des LAG zeigt auf, welche Anforderungen von der Rechtsprechung an die Erforderlichkeit der Teilnahme von Ersatzmitgliedern an Schulungen zum betriebsverfassungsrechtlichen Grundwissen als Ausnahmefall zu stellen sind. Klar ist dabei, genauso wenig wie pauschal eine Erforderlichkeit nicht angenommen werden kann, gilt dies auch für den umgekehrtem Fall. Auch ist es angebracht, das zeigt der Beschluss, sich die Einschlägigkeit der Argumentation des Arbeitgebers genau anzuschauen. Zu begrüßen ist schließlich der Hinweis darauf, wann von einem Vertretungsfall auszugehen ist. All dies ist beim Entsendebeschluss zu beachten.
Fabian Wilden, Rechtsanwalt
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